Über die bindungsunwiliige Generation Y und den demografischen Wandel kann man klagen – oder beides für sich nutzen. Ein Weckruf für die vielerorts vernachlässigten Grundprinzipien guter Personalarbeit.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Frau S., 52, ist seit 30 Jahren bei „ihrer“ Bank. Sie ist immer gern zur Arbeit gegangen, doch in den letzten Jahren war irgendwie die Luft raus, vielleicht auch, weil viele ihrer Aufgaben durch die Digitalisierung weggefallen sind. Ihr Vorgesetzter sucht das Gespräch. Doch statt gemeinsam mit ihr herauszuarbeiten, woran es hapert, übernimmt er dabei die Führung. Der Versuch ist gut gemeint, doch im Anschluss an diesen Termin sind beide Seiten frustriert: Frau S., weil sie das Gefühl hat, dass es nur darum ging, ihr mehr Arbeit aufzudrücken, ihr Chef, weil die Kollegin so negativ und wenig begeisterungsfähig war.
Mitarbeitergespräche sind klassische Führungsaufgaben. Doch das nötige Handwerkszeug scheinen – wie auch das Beispiel oben zeigt – viele Führungskräfte nicht zu besitzen. Unterhaltungen zwischen Chef und Mitarbeiter gleichen häufig Einbahnstraßen: Anstatt offen miteinander zu reden, Probleme beim Namen zu nennen und sich wirklich aufeinander einzulassen, werden Punkte abgehakt und Arbeitsanweisungen formuliert. Kurz: Vorgesetzte sprechen zu Beschäftigten – nicht mit ihnen. In keinem anderen Bereich des Managements scheinen Theorie und Praxis soweit auseinanderzuklaffen wie in der Personalführung. Die Folgen für die gesamte Wirtschaft sind immens: Die Schäden durch schlechte Personalführung gehen in die Milliarden. Laut einer Gallup-Studie gaben in Deutschland 17 Prozent aller Mitarbeiter an, innerlich gekündigt zu haben.
Umso erstaunlicher ist es, wie intensiv in manchen Unternehmenskreisen über die vermeintliche Bedrohung durch die digitale Generation und die rasante Zunahme von älteren Beschäftigten diskutiert wird. Denn weitaus bedrohlicher als die sich verändernden Beschäftigten ist die Tatsache, dass sich viele Führungskräfte nie die Werkzeuge angeeignet haben, Personalführung so individuell und partizipativ zu gestalten, wie sie schon immer hätte sein müssen.
Anstatt vor der eigenen Haustür zu kehren, wird etwa die Generation Y, die gerade dabei ist, den Arbeitsmarkt zu revolutionieren, als Bedrohung gebrandmarkt. In schöner Regelmäßigkeit werden Stimmen laut, die jungen Leute hätten ein zu hohes Anspruchsdenken, eine zu ausgeprägte Freizeitorientiertheit und seien bindungsunfähig. Doch ist es wirklich ein Zeichen von mangelnder Reife, wenn ein Mitarbeiter wie Tobias B., 26, ein super ausgebildeter „Digital Native“, der jeden Morgen um acht Uhr im Büro ist, um Punkt Viertel vor fünf das Unternehmen verlassen will, um seine Tochter aus der Kita abzuholen? Sind es nicht vielmehr die Arbeitgeber, die an den starren Strukturen vergangener Zeiten festhalten und vergessen haben, im Bereich Mitarbeiterführung ihre Hausaufgaben zu machen?
Keine Frage: Der demografische Wandel stellt Organisationen vor neue Herausforderungen. Doch wer künftig als Unternehmen Erfolg haben und Mitarbeiter halten will, muss dafür nicht groß neue Führungsstile entwickeln. Es reicht schon, wenn er die Prinzipien guter Personalarbeit beachtet. Denn im Kern sind die Bedürfnisse der jungen Wilden und der älteren Mitarbeiter nicht so unterschiedlich: Sie brauchen die Unterstützung durch ihre Führungskräfte, wollen große Entscheidungsfreiräume und Wertschätzung in Form von konstruktiver Rückmeldung statt platter Phrasen. Wer versucht, diesen Grundbedürfnissen gerecht zu werden und sich die grundlegenden Funktionen von Kognition und Motivation (sowie ihre Veränderung über das Berufsleben hinweg) vergegenwärtigt, hat automatisch einen Führungsstil, der ihn vor den Entwicklungen des demografischen Wandels schützt.
Demografiesensibel und personalisiert führen heißt übrigens nicht, dass Sie ein „Rundumversorger“ werden sollen. Im Gegenteil: Es ist nicht die Aufgabe einer Führungskraft, dafür zu sorgen, dass sich ihre Beschäftigten jederzeit gut und motiviert fühlen. Aber es gehört sehr wohl zu ihrem Job, dafür zu sorgen, dass diese nicht durch ihre Arbeit demotiviert werden.
Wer Führungsverantwortung hat, darf nicht allein Partner der Geschäftsführung sein – er muss vor allem mit seinen Beschäftigten ein Joint Venture eingehen. Ein gut funktionierendes Team nimmt seinem Chef gern einen Teil seiner Führungsaufgaben ab und hält sich selbst „auf Kurs“. Die Rolle der Führungskraft besteht in diesem Fall vor allem darin, einen Prozessrahmen vorzugeben und zu definieren, innerhalb dessen Eigenbeteiligung und Teilhabe der Beschäftigten möglich werden. Dieses Grundprinzip gelungener Personalarbeit bleibt auch angesichts wachsender Zahlen von Mitarbeitern aus den Gruppen Generation Y und 50 plus unberührt.
Die Reaktionen von Führungskräften auf diese Erkenntnisse sind – neutral ausgedrückt – sehr heterogen. Der Aussage, dass gute Personalführung individuell sein muss, stimmen die meisten zu. Doch die Verantwortung dafür wollen die wenigsten übernehmen. Eine Führungskraft brachte ihren Unmut einmal so auf den Punkt: „Ich bin doch kein Psychotherapeut!“ Der Mann hatte recht. Denn in den allermeisten Fällen sind Mitarbeiter nicht psychisch krank. Sie bedürfen genauso wenig eines Psychotherapeuten wie ihr Chef ein Psychologiestudium braucht. Demografiesensible Führung ist keine Kuschelführung. Niemand erwartet, dass sich in der Arbeitswelt alle von morgens bis abends Liebenswürdigkeiten zurufen. Gute Personalarbeit hat vollkommen rationale Gründe: Sie dient der regelmäßigen gemeinsamen Überprüfung der Leistungsressourcen und Möglichkeiten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Im Grunde ist die Sache ganz simpel: Nur wenn Führungskraft und Mitarbeiter die eigenen Erwartungen und Wünsche permanent abgleichen, kann Ressourcenverschwendung auf der einen wie der anderen Seite verhindert werden. Dieser fast schon klassisch anmutende Regelkreis findet häufig gerade bei Chefs mit ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund Anklang. Sie, die oft von sich behaupten, es mit weichen Psychothemen „nicht so zu haben“, verstehen die Notwendigkeit dafür.
Anstatt über die Arbeitsmarktveränderungen zu lamentieren, sollten sich Führungskräfte lieber noch einmal die Prinzipien klassischer Personalarbeit vor Augen führen. Ihre Mitarbeiter, egal ob sie jung oder alt sind, sind nicht radikal andere Menschen als früher. Die Generation Y sind auch nur die Töchter und Söhne der Generation Golf und die Enkel der Generation 50 plus. Gute Personalführung war schon immer individuell auf den Mitarbeiter zugeschnitten. Es braucht keine „Revolution“, sondern eine Rückbesinnung auf alte Werte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Quelle:
- Harvard Business Manager, 2014/06, S.96f
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