So richtig zufrieden ist mit Veränderungsprojekten kaum jemand. Jedes vierte gilt als Fehlschlag, die Produktivität sinkt, und die Fluktuation in der Belegschaft steigt. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die Probleme in vielen Fällen bereits auf der zweiten Führungsebene beginnen.
Abgesehen von der Geschäftsleitung, glaubt die Mehrheit der Manager nicht mehr an den Sinn und Erfolg von Veränderungsprojekten. Die bisher dem mittleren Management und der Belegschaft zugeschriebene Veräderungsresistenz hat inzwischen das Senior Management erreicht.
Das ist das Ergebnis einer Befragung, die wir im Sommer 2009 durchgeführt haben. 116 Manager aus großen Unternehmen im deutschsprachigen raum haben daran teilgenommen. Wir wollten vor allem wissen, wie das obere Management die Qualität der Führung bei Verädnerungsprozessen bewertet, welche Erfolgsfaktoren im Change-Management am wichtigsten sind und wie ausgeprägt die organisatorische Veränderungsfähigkeit in den Unternehmen ist. Die befragten Führungskräfte arbeiteten auf unterschiedlichen Ebenen von Abteilungsleiter bis zur Geschäftsleitung und haben alle bereits mehrere Change-Management-Projekte geleitet.
Wir haben diese Zielgruppe seit 2003 alle zwei Jahre befragt und seitdem ene kontinuierlich zunehmende Veränderungmüdigkeit beobachtet. Gleichzeitig nimmt die Zahl der umfassenden Veränderungen beständig zu: in jedem Konzern laufen heute durchschnittliche zwei bis drei dieser unternehmensübergreifenden Projekte gleichzeitig. Damit reagiert das Management zum Beispiel auf steigende Kosten, fehlendes Wachstum und zunehmenden Wettbewerb. In einem deutschen Konzern aus dem produzierenden Sektor laufen neben solchen Restrukturierungs- und Innovationsprogrammen auch noch Projekte etwa zur Harmonisierung (unter dem Schlagwort „One Company“), Integration („Post Merger“), Internationalisierung („Global Markets“), zum Talentmanagement („Workforce Readiness“) zund zur Führungskultur („Our Values“). Alle diese Veränderungsvorhaben besitzen anspruchsvolle und nur selten widerspruchsfreie Ziele, eine kurzgetakteten Zeitrahmen sowie eingeschränkte finanzielle und personelle Ressourcen.
In der Regel erreichen die Initiatoren die mit solchen Veränderungen bezweckten Ziele selten vollständig. Lediglich jedes achte Veränderungsprojekt wird von den Befragten als voller Erfolgt charakterisiert, im Durchschnitt werden die Zeiel lediglich zu 66 Prozent erfüllt, und jedes vierte Projekt gilt als Fehlschlag. Außerdem sinkt die Produktivität von Unternehmen bei schlecht gestalteten Veränderungsprozessen in der Expertenschätzung durchschnittlich um 25 Prozentpunkte, und die unerwünschte Fluktuation steigt um 11 Prozentpunkte. Diese beiden Werte haben sich seit 2005 in jeder unserer Change-Management-Studien langsam, aber stetig erhöht.
Es liegt vermutlich auch am mangelnden Erfolg, dass die Unzufriedenheit und Verweigerungshaltung inzwischen die höchsten Hierarchieebenen erreicht hat. Nur noch im Vorstand und der Geschäftsführung sind drei Viertel der Manager überzeugte Veränderer. Schon eine Ebene darunter sinkt die Veränderungsbereitschaft auf ein Drittel.
Ähnlich schlecht bewerteten die Studienteilnehmer die Veränderungskompetenz der oberen Führungskräfte. Nur jedem zweiten Topmanager wird eine hohe bis sehr hohe Kompetenz bescheinigt. In der Führungsebene darunter dominiert nach Einschätzung der Befragten mit 31 Prozent bereits das Mittelmaß.
Noch düsterer sieht es im mittleren und unteren Management aus: Die Veränderungsbereitschaft liegt bei etwa 20 Prozent, und die Veränderungskompeten ist nach Einschätzung der befragten Change-Managment-Verantwortlichen nur noch in geringen Maß vorhanden.
Druck erzeugt Widerstand
Um zu verstehen, wie diese schlechten Werte zustande kommen, muss die Entwicklung der Arbeit von Führungskräften und Mitarbeitern innerhalb der vergangenen Jahre betrachtet werden. Beide Gruppen stehen unter einen immer stärkeren Leistungsdruck. Es hat sich vor allem in den sogenannten Highperformance-Unternehmen, eingebürgert, die Mitarbieter mithilfe von stetem Anspruch und steter Kontrolle anzuspornen. Die Aufgaben werden immer so gestaltet, dass sie gerade noch machbar sind — häufig gehen die Anforderungen sogar darüber hinaus und führen zu Überforderung. Dieses Vorgehen wird Personal Stretch genannt. Das heißt, jedes Jahr sollen die Ergebnisse um einen bestimmten Prozentwert gesteigert werden, in Veränderungsphasen gern auch in kürzerer Zeit und mit niedrigerem Budget.
Die Erfahrung mit Transformationsprojekten in vielen großen und mittleren Unternehmen zeigt aber, dass die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und Manager inzwischen vielfach überstrapaziert wird. Anspruch und Können klaffen immer weiter auseinander. So verfehlen in einem großen deutschen IT-Unternehmen fast vier von fünf oberen Führungskräften ihre Zielvorgaben.
Wir beobachten etwa seit dem Platzen der Internetblase um das Jahr 2001 herum, dass das Leistungsvermögen einer Führungscrew durch bessere Manager kaum und durch mehr Fürhungskräfteentwicklung nur noch bedingt gesteigert werden kann. Der Austausch von jährlich einem Drittel der oberen Führungskräfte hat zum Beispiel in einem global agierenden Logistikunternehmen keine besseren Ergebnisse erbracht.
Ihre Ziele können die Manager nur noch in außergewöhnlich guten Jahren erfüllen. Ein Manager, mit dem wir zusammenarbeiteten, verglich seine Lage mit der eines Taxifahrers, dem sein Fahrgast auf dem Weg zum Flughafen in der Rushhour bei strömenden Regen sagt, er müsse in zehn Minuten einchecken. Wenn der Fahrer ihn rechtzeitig ans Ziel bringe, bekomme er ein großzügiges Trinkgeld. leider würde schon eine Fahrt unter normalen Umständen 20 Minuten dauern.
Diese Überforderung führt verstärkt zu eigennützig motiviertem Verhalten im Unternehmen. Manager versuchen im Spagat zwischen Marktdruck und Zielvorgaben, ihre wichtigen Kennzahlen so auszulegen, dass sie ihre Ziele erreichen oder wenigstens ihr Überleben absichern. Aus den gleichen Gründen wird gegen Compliance-Regeln verstoßen oder unangenehme Entscheidungen werden einfach aufgeschoben. Das zeigen die Erkenntnisse aus Projekten, Berichten in Medien und Erfahrungen aus internen Revisionen.
Unter diesen Umständen wird deutlich, warum Manager sich häufig gegen neue Herausforderungen wehren oder Überlebensstrategien entwickeln.
Die Folge: Die Führungskräfte können oder wollen nicht mehr einer gemeinsamen Linie folgen, was sich in den Ergebnissen unserer Studie widerspiegelt. 47 Prozent der befragten Manager konnten die Argument für die letzten Veränderungsprojekte in ihrem Unternehmen nicht nachvollziehen, 45 Prozent gaben an, Angst vor schwierigen Entscheidungen zu haben, und 44 Prozent fürchteten, an Einfluss zu verlieren. Diese drei Aspekte wurden von den Befragten als die wichtigsten Gründe für Veränderungsresistenz genannt. Sie werden von einer Reihe weniger stark ausgeprägter Gründe begleitet, etwa Angst, an Status zu verlieren, mangelnde eigene Flexibilität oder fehlende Kompetenzen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, wie die Studienteilnehmer die drei Faktoren Emotionen, Politik und Rationalität bei Veränderungsprojekten eingeordnet haben. Mit 48 Prozent rangieren die Gefühle weit vorn, gefolgt von Politik mit 28 Prozent und der Vernunft mit 26 Prozent. Das heißt, Gefühle und politische Motive beeinflussen zu drei Vierteln das Verhalten der Führungskräfte.
Was kann das Management tun?
Veränderungsprojekte entstehen in der Regel durch Druck von außen. Derzeit sind Restrukturierungen mit einem Anteil von 57 Prozent und Kostensenkungsprogramme (47 Prozent) die mit Abstand wichtigsten Anlässe für Change-Prozesse. Wachstumsinitiativen liegen noch an dritter Stelle, werden aber in den kommenden Jahren sicher wieder an Bedeutung gewinnen. In vielen Fällen bekommen Führung und Belegschaft um Veränderungen nicht herum. Aber, wie lassen sich die Probleme beheben? Sehen wir uns die drei Hauptgründe für die Veränderungsmündigkeit an und prüfen, ob sich Hindernisse wie Unverständnis, Entscheidungsnöte oder Machtspiele beheben lassen.
Mangelnde Einsicht in notwendige Veränderungen. — Durch intensivere und bessere Kommunikation könnte die Geschäftsleitung das Verständnis für notwendige Restrukturierungen, Kostensekungsprogramme oder auch Wachstumsprogramme oder auch Wachstumsprojekte bei ihren direkten Mitarbeitern fördern. Das erfordert viel Zeit, persönliche Auseinandersetzung und vor allem gute Argumente. Unsere Erfahrung aus vielen Change-Projekten in den vergangenen 20 Jahren zeigt jedoch, dass es häufig keine wirklich überzeugenden Gründe für die geplanten Veränderungen gibt. Dann aber kann man miteinander plaudern, solange man will. Kann die Geschäftsleitung die Gründe nicht plausibel darlegen, sollte sie die Situation besser nicht ändern.
Angst vor schwierigen Entscheidungen. — Durch sorgfältige Planung, höhere Fehlertoleranz und mildere Sanktionen könnte den Managern die Angst genommen werden. Dazu ist ebenfalls vor allem Zeit nötig, aber auch eine entsprechende Unternehmenskultur. Falsche Entscheidungen dürfen nicht grundsätzlich sanktioniert und harte Maßnahmen nicht rücksichtslos exekutiert werden. Derartige kulturelle Entwicklungen geschehen aber nicht über Nacht. Topmanager sollten bei ihrer Entscheidung über Veränderungsprojekte deshalb den Aspekt Unternehmenskultur mit berücksichtigen, denn sie beeinflusst den Erfolg eines Veränderungsprojektes maßgeblich.
Angst vor Verlust an Einfluss. — Auch hier ist es vor allem das Gespräch mit den Betroffenen, das helfen würde, unberechtigte Sorgen zu nehmen. Das gilt auch für die Fälle, in denen die die Lage des Unternehmens tatsächlich schlimm ist — und die Betroffenen nur zwischen schlechten und weniger schlechten Alternativen wählen können. Die absehbaren Verlierer werden alles versuchen, Schaden von sich abzuwenden. Umso wichtiger sind Transparenz und offene Gespräche, damit sich alle Beteiligten auf die Situation einstellen können.
Diese drei Gründe für mangelnde Veränderungsbereitschaft von Führungskräften (mit ihrer Multiplikatorwirkung in die Organisation) sind an sich nicht überraschend. Neu ist, das diese Probleme auch für die Kommunikation zwischen Geschäftsleitung und zweiter Führugnsebene gelten, die bislang eher als homogener Block gesehen wurden.
Die Geschäftsleitung sollte deshalb die drei folgenden Verhaltensweisen verbessern, die die Befragten als wichtigste Erfolgsfaktoren identifiziert haben:
- Klare und glaubwürdige Botschaften senden (58 Prozent)
- Wandel begreifbar machen (42 Prozent)
- Betroffene zu Beteiligten machen (35 Prozent)
Wobei die Betroffenen in diesem Fall die Manager im engsten Umfeld des Topmanagements sind.
Die Verantwortlichen im Topmanagement sollten dabei auf jeden Fall einen individuellen Ansatz wählen. Es reicht nicht, die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt zu haben und notwendige Maßnahmen anzuordnen. Damit Veränderungen überhaupt eine Chance haben müssen Vorstände und Geschäftsführer sich die Mühe machen, Hintergründe, Zusammenhänge sowie die unterschiedlichen Persönlichkeiten im Unternehmen zu verstehen. Auf der Basis dieser Erkenntnisse sollten dann individuelle Kommunikationsstrategieen entwickelt werden. Diese Aufgaben kann dem Topmanagmeent niemand abnehmen.
Natürlich darf man nicht verkennen, dass auch in der obersten Führungsebene neben dem Zeitargument die Angst vor schwierigen Entscheidungen existiert. Es ist jedoch keine Lösung, diese Aufgabe an die nächste niedrigere Ebene oder die Projektleiter für die Veränderungsaufgabe zu delegieren — wie es häufig geschieht.
Die Hauptursache für mangelnde Veränderungsbereitschaft von Führungskräften im Senior Management dürfen also nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Oft entscheidet sich bereits beim ersten Abbröckeln der Veränderungsbegeisterung der Erfolg eines Projekts.
Das zeigen auch die Ergebnisse der Studie. Prinzipiell ist für 66 Prozent der Befragten der entscheidende Erfolgsfaktor für Veränderungsprojekt die Zustimmung und Bereitschaft aller Manager und Mitarbeiter. Gleich dahinter rangieren mit 51 Prozent die Analyse und das Verstehen von Situation und Umfeld sowie mit 35 Prozent die Förderung der Führungsfähigkeit.
In der Praxis werden den Befragten zufolge Veränderungen jedoch häufig einfach begonnen, ohne sich mit der Situation des Unternehmens und den Veränderungszielen auseinanderzusetzen. Dazu meint Rudolf Wimmer, Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke: „Das Management unterstellt vielfach, dass die Organisation schon irgendwie mitzieht.“ Dabei würde die erforderliche Veränderungsenergie komplett unterschätzt. So wird die organisatorische Veränderungsfähigkeit in lediglich einem von drei Unternehmen als hoch beurteilt, in den übrigen zwei Dritteln gilt sie entweder als mittelmäßig oder sogar gering. Am besten stehen in der deutschen Unternehmenslandschaft die familiengeführten Unternehmen da.
Fazit
In vielen Firmen befindet sich die Geschäftsleitung inzwischen in einer Art Elfenbeinturm — isoliert vom eigentlichen Geschehen. Dass es auf Seiten der Belegschaft den pauschalen Verweis auf „die da oben“ gibt — und umgekehrt das Unverständnis über „die da unten“ –, ist altbekannt. Alarmierend ist jedoch, dass diese Verständnisbarriere in bestimmten Bereichen bereits zwischen Geschäftsführung und zweiter Führungsebene besteht. Solange diese Sprachlosigkeit zwischen Topmanagement und Senior Managemenet nicht überwunden wird, werden auch die Ergenisse von Veränderungsprojekten unbefriedigend bleiben.
Das Management sollte sich auch Gedanken darüber machen, ob die Anforderungen, die an die Mitarbeiter gestellt werden, eher an das realstisch Machbare angepasst werden sollten. Eine solche Änderung würde in vielen Fällen dazu beitragen, Blockaden gegenüber Veränderungen zu lösen.
Vorstände und Geschäftsführer sollten es ernst nehmen, wenn es ihnen nicht gelingt, ihren direkten Mitarbeitern die Gründe für ein Change-Projekt plausibel zu machen. Entweder fehlen ihnen die richtigen Mittel für die angemessene Kommunikation — oder es gibt eigentlich keinen Grund für eine Veränderung.
Quellen:
- Hardvard Business manager Dezember 2009, S.11ff
- http://www.change-studie.de
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