Das 360°-Feedback zählt heutzutage in vielen Unternehmen zum Standard. Diese Methode können Führungs- und Fachkräfte nutzen, um Fähigkeiten und Potenziale ihrer Mitarbeiter zu beurteilen und weiterzuentwickeln. Das 360°-Feedback geht deutlich über den Umfang der traditionellen Mitarbeitergespräche hinaus, da nicht nur die Einschätzungen des Vorgesetzten, sondern auch die Rückmeldungen anderer Mitarbeiter berücksichtigt werden. (Pastoors et al. 2019, S.154)

Das traditionelle Mitarbeitergespräch (90°-Feedback) erfolgt im Regelfall aus den Perspektiven des Mitarbeiters (Selbstbeurteilung) und des Vorgesetzten (Fremdbeurteilung). Der Vorgesetzte berücksichtigt dabei im Optimalfall die Selbstwahrnehmung des Mitarbeiters hinsichtlich der Beurteilung der Leistung und der damit verbundenen Zielerreichung. (Pastoors et al. 2019, S.154)

Im Zuge der Abflachung von Hierarchien und der zunehmenden Selbstorganisation durch Teams nehmen die ergänzenden Informationsgeber eine immer wichtigere Rolle ein. Vorgesetzte haben häufig nur (noch) einen begrenzten Einblick in das Tagesgeschäft ihrer Mitarbeiter, so dass Kollegen und (interne) Kunden konkreteres Feedback zur Leistung und zum Verhalten geben können. Rückmeldungen von Peers (Kollegen) können auch deutlich häufiger und auf einer informelleren Ebene erfolgen. (Stock-Homburg/Groß 2019, S. 420)

Beim 360°-Feedback führt der Vorgesetzte dagegen eine Rundumbetrachtung und -beurteilung des Bewerteten durch. Dementsprechend nimmt die Wahrnehmung der Leistung eines Mitarbeiters durch den Vorgesetzten nur eine Teilrolle bei der Bewertung der Fähigkeiten des Bewerteten ein. Dies bedeutet, dass der Vorgesetzte die Fähigkeiten und Leistungen des Beurteilten mit Hilfe von Menschen, die mit der Person im Arbeitsalltag regelmäßig Kontakt haben, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Hierzu zählen der direkte Vorgesetzte, unmittelbare Kollegen aus angrenzenden Abteilungen, Mitglieder des eigenen Teams und Kunden. (Pastoors et al. 2019, S.154)

Perspektiven des 360-Grad-Feedbacks (Stock-Homburg/Groß 2019, S. 422)

Zur Abfrage der Fähigkeiten und Leistungen eines Mitarbeiters werden bei der Methode des 360°-Feedbacks standardisierte Fragebögen verwendet. Neben der Einschätzung der genannten Gruppen fließt zur Abrundung der Bewertung auch die Selbsteinschätzung des Bewerteten ein. Durch die Gegenüberstellung der Ergebnisse der gemeinsamen Analyse entsteht ein Gesamtbild und somit das 360°-Profil, das die Kompetenzen und Stärken, aber auch die Schwächen und Entwicklungspotenziale des Bewerteten aufzeigt. (Pastoors et al. 2019, S.154)

Der Prozess des 360°-Feedbacks erfolgt im Regelfall in vier Schritten: (Pastoors et al. 2019, S.154)

  1. Vorbereitungsphase:
    Zunächst identifiziert die Führungskraft die erforderlichen Feedbackgeber und informiert diese über Ziel und Ablauf der Feedback-Methodik. Hierbei ist es notwendig, dass alle Teilnehmer wissen, in welcher Form die ermittelten Daten ausgewertet und behandelt werden – z. B. ob die Daten anonymisiert werden und damit keine negativen Konsequenzen auf die Feedbackgeber zukommen.
  2. Erstellung des Fragebogens:
    Den Fragebogen erstellt oftmals ein auf 360°-Feedback spezialisierter Personaldienstleister. Bei der Erstellung des Fragebogens berücksichtig der Dienstleister die zuvor vereinbarten Themen hinsichtlich der Kompetenzanalyse und der Potenzialdiagnostik.
  3. Zusammenfassung der Ergebnisse und Auswertung:
    Wenn die Durchführungsphase abgeschlossen ist, werden alle Bewertungen zusammengeführt, analysiert und ausgewertet. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt häufig in Form von Schaubildern. Um die Akzeptanz der Ergebnisse zu gewährleisten, sollten die Ergebnisse transparent und nachvollziehbar dargestellt werden.
  4. Umsetzungsphase:
    Nachdem die Auswertung der Ergebnisse abgeschlossen ist, gilt es, die gewonnen Erkenntnisse bestmöglich umzusetzen. Hierzu leitet der direkte Vorgesetzte der beurteilten Person aus den Daten konkrete Maßnahmen ab und setzt diese gemeinsam mit dem Bewerteten um.

Die Ergebnisse der Beurteilungen einer Person bleiben vielfach nicht ohne Konsequenzen für die Beurteilenden selbst. Beispielhaft sei der Aufstieg sehr guter Mitarbeiter des eigenen Verantwortungsbereiches aufgrund sehr guter Beurteilungen genannt. Die Führungsperson verliert dadurch einen wertvollen Mitarbeiter, was zunächst mit erhöhtem Aufwand (z. B. für die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters) verbunden sein kann. Ähnliche Konstellationen (z. B. Konkurrenzverhältnisse) sind auch bei der Beurteilung durch Kollegen denkbar. Eine wichtige Anforderung an Beurteilende ist daher deren Neutralität. (Stock-Homburg/Groß 2019, S. 424)

In psychologischer Hinsicht wird mit der Anforderung an die Neutralität der Beurteilenden ein sehr sensibler Bereich angesprochen. Sind Beurteilende nicht neutral, so wird das Bedürfnis der Beurteilten nach Gerechtigkeit in der Austauschbeziehung mit dem Unternehmen verletzt. Dies kann wiederum zu Unzufriedenheit, geringer Identifikation mit der Tätigkeit und schließlich zum Ausscheiden der Beurteilten aus dem Unternehmen führen. Die Neutralität von Beurteilenden kann seitens des Unternehmens insbesondere dadurch erhöht werden, dass objektive bzw. quantitative Beurteilungskriterien eingesetzt werden. (Stock-Homburg/Groß 2019, S. 424 f.)

Typische Beurteilungsfehler im Überblick (Stock-Homburg/Groß 2019, S. 425)
Beispielhafte Maßnahmen zur Vermeidung von Beurteilungsfehlern (Stock-Homburg/Groß 2019, S. 427)

Zurück zum Leitartikel Potenziale entfalten.

Quellen:

  • Pastoors, Sven; Becker, Joachim H.; Ebert, Helmut; Auge, Michelle (2019): Praxishandbuch werteorientierte Führung. Kompetenzen erfolgreicher Führungskräfte im 21. Jahrhundert. Berlin: Springer.
  • Stock-Homburg, Ruth; Groß, Matthias (2019): Personalmanagement. Theorien – Konzepte – Instrumente / Ruth Stock-Homburg, Matthias Groß. Fourth edition. Wiesbaden: Springer Gabler.