Die meisten Menschen glauben, revolutionäre Ideen entstehen, wenn eine Gruppe völlig frei fantasieren darf — ein Irrtum. Es sind gerade die Vorgaben, die ein Brainstorming effektiv machen. Lernen Sie, die richtigen Fragen zu stellen, um bessere Antworten zu bekommen.
Entwickeln Sie eine neue Geschäftsidee. Sie haben 20 Minuten Zeit.“ Wie würden Sie auf diese Aufgabe reagieren? Sie ist so ungenau und vage, dass Sie vermutlich denken würden, das sei nicht zu schaffen. Allzu häufig haben wir miterlebt, wie Manager angesichts einer derart diffusen Aufgabe kapitulierten, ohne sich überhaupt ernsthaft an einer Lösung zu versuchen. Stellen wir eine konkretere Frage: Was haben Inlineskates, Häagen-Dazs-Eis und Spider-Man-Filme gemeinsam? Die Antwort lautet: Sie beruhen auf demselben Prinzip. Ein Unternehmen nimmt etwas ins Visier, das Kinder besonders gern mögen, und produziert eine extremere und teurere Version für Erwachsene. Mehr als 25 Produktkategorien entstanden auf diese Weise, von den Feinschmecker-Geleebonbons Jelly Belly Beans über Turnschuhe für ZOO Dollar, sechs Meter hohe Sandburgen für Firmenfeiern, Paintball und Weltraumtourismus bis hin zu Sammlerobjekten von Disney. Ausgehend von diesen Beispielen, würde Ihnen bestimmt auch etwas einfallen, das Sie mit besonders intensiven Kindheitserlebnissen verbinden und das sich in einer teureren Version für Erwachsene produzieren ließe. In unseren Workshops haben wir dieses Spielchen bereits mit Hunderten von Managern durchexerziert — als Aufwärmübung. Und jedes Mal kamen interessante Ideen dabei heraus. Was haben wir gerade gemacht? Und warum hat es funktioniert? Wir haben Sie nicht aufgefordert, bewusst unkonventionell zu denken. Wir haben Sie auch nicht gebeten, im Rahmen Ihrer üblichen Vorgaben nach Ideen zu suchen. Stattdessen haben wir Ihnen neue Vorgaben an die Hand gegeben, die Sie bei Ihren Überlegungen leiten sollten.
Wenn es darum geht, neue Ideen zu finden, meinen viele, man müsse sich von allen gedanklichen Barrieren frei machen — ganz im Sinne des englischen Postulats „Think outside the Box“. Gemeint ist: Man soll festgefahrene Denkweisen ablegen, sich vom konventionellen Denkkorsett befreien. Die Box steht für Vorgaben und Leitlinien, die per se als Feind kreativer Ideenfindung gelten. Doch die meisten Manager und Mitarbeiter können gerade innerhalb vorgegebener Strukturen sehr effektiv denken. Sie sind ständig mit Beschränkungen konfrontiert und suchen automatisch im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach alternativen Lösungen, jonglieren mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und setzen sie neu zusammen. Unsere Erfahrung hat gezeigt: Wenn man den Denkprozessen der Beschäftigten systematisch einen Rahmen setzt (keinen zu engen), schöpfen sie alle Möglichkeiten sehr versiert aus. Sie sind in der Lage, regelmäßig viele gute Ideen hervorzubringen, manchmal auch wirklich herausragende. Der richtige Rahmen entsteht durch die richtigen Fragen. Sie müssen Vorgaben schaffen, die nützlich sind, sich aber von denen unterscheiden, an die Ihre Mitarbeiter normalerweise gebunden sind.
Vor zehn Jahren führten wir bei einem größeren Projekt für die Strategieberatung von McKinsey & Company ein Beraterteam, das einen auf dem gerade beschriebenen Prinzip basierenden Brainstorming-Ansatz entwickelte. Kern des Konzepts ist es, konkrete Fragen zu stellen und anschließend den Prozess zur Beantwortung dieser Fragen zu organisieren. Mittlerweile haben wir diese Methode bei mehr als 150 Kunden erfolgreich eingesetzt. Die Palette der Anwendungsgebiete reichte von großen Produktinnovationen und Branchenverändernden Maßnahmen bis hin zu einfachen Prozessverbesserungen.
Durch unsere Technik erkannte ein Konsumgüterhersteller eine Marktlücke für ein gekühltes Getränk, das es bereits in den ersten sechs Monaten nach Einführung auf einen Marktanteil von 20 Prozent brachte. Ein Verlag für Printmedien vergrößerte seinen Anteil auf dem spanischsprachigen Markt mithilfe unserer Methode auf das Dreifache. Ein Hersteller von Kunststoffrohren ermittelte bei seinen Kosten 75 Prozent Einsparpotenzial, das er sofort realisieren konnte. Eine Regionalbank entwickelte einen Prozess, der die Verkaufsproduktivität der teilnehmenden Filialen mehr als verdoppelte. Selbst Personen, bei denen Kreativität zum Geschäft gehört, haben von unserem Ansatz profitiert: Die Redakteure verschiedener bekannter Magazine, die auf der Suche nach neuen Perspektiven und Themen in den immer gleichen Trott verfallen waren, nutzten unsere Methode, um für jede Ausgabe frische, neue Artikel zu produzieren. Den Praxistest hat unser Ansatz also bereits bestanden. Jetzt möchten wir ihn gern weitergeben. Ein Blick auf die Schwächen herkömmlicher Brainstorming—Ansätze bietet einen guten Einstieg in das Thema.
Warum klassisches Brainstorming nicht funktioniert
Viele Manager schaffen es nicht, ihre Leute dazu zu bringen, regelmäßig handfeste Ideen abzuliefern, weil sie eine von zwei weitverbreiteten Methoden anwenden: Entweder fordern sie ihre Teams auf, bewusst unkonventionell zu denken und alle Vorgaben über Bord zu werfen, oder sie beauftragen ihr Personal, innerhalb der alten Rahmenbedingungen (das können bestehende Märkte und Finanzdaten sein oder eigens in Auftrag gegebene Marktforschungen) nach neuen Geschäften zu suchen.
Das Problem beim ersten Ansatz besteht darin, dass die meisten Menschen unstrukturiertes und abstraktes Brainstorming nicht besonders gut beherrschen. Stellen Sie sich vor, Sie möchten ein beliebiges Produkt verbessern und eine klassische Brainstorming-Sitzung soll Ideen dafür liefern. Das Produkt könnte vergrößert oder verkleinert werden, es könnte leichter oder schwerer gemacht werden, schöner oder robuster. Oder Sie könnten das Aussehen des Produkts auf hundert verschiedene Arten verändern. Denkbar wäre auch, den Preis zu erhöhen oder zu senken. Oder wie wäre es damit, das Produkt aufzusplitten oder mit anderen Produkten zu bündeln? Funktionalität, Nutzungsdauer, Anwenderfreundlichkeit oder Kombinierbarkeit mit anderen Produkten — auch dies wären mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungen, ebenso wie die Verfügbarkeit oder die Wartungs- und Reparatureigenschaften. Woher wissen Sie, bei welchen Parametern es sich lohnt, genauer hinzuschauen? Beim klassischen Brainstorming lautet das Motto: ,,Es gibt keine schlechten Ideen.“ Doch das macht die Aufgabe nur noch verwirrender. Ohne Leitlinien wissen die Teammitglieder nicht, ob sie ihre erste Idee weiterverfolgen oder doch lieber in eine völlig andere Richtung denken sollen. Sie können mit dieser Unsicherheit nicht umgehen und kapitulieren innerlich.
Bei der zweiten Methode, also innerhalb der gewohnten Rahmenbedingungen und Daten einen neuen Ansatz zu finden, ist der Erkenntnisgewinn eigentlich immer bestenfalls mittelmäßig — aus verschiedenen Gründen. jede Datenbank ist nach bestimmten Kriterien strukturiert, und diese Kriterien fußen auf bereits bekannten Erkenntnissen, nicht auf radikal neuen Ideen. (Warum sind Vertriebsdaten häufig nach Regionen sortiert? Weil schon einmal jemand herausgefunden hat, dass regionale Unterschiede wichtig sind.) Außerdem werden alle Erkenntnisse, die Sie gewinnen, indem Sie öffentlich zugängliche Informationen noch einmal hin- und her wenden lassen, auch Ihren Wettbewerbern nicht lange verborgen bleiben. Deren frisch von den Business Schools kommende Nachwuchsmanager arbeiten vermutlich mit demselben Instrumentarium und denselben Daten wie Ihre Experten. Marktforschung bringt noch einen weiteren Nachteil mit sich. Immer wenn ein Unternehmen auf der Suche nach einer genialen neuen Idee ist, schlägt irgendjemand vor: ,,Wir sollten die Kunden fragen. Die sind ja auch nicht dumm.“ Das sind sie natürlich tatsächlich nicht, und sie können Ihnen durchaus sagen, ob sie Ihr Produkt in Bezug auf eine bestimmte Eigenschaft für schlechter halten als das der Konkurrenz. Aber ob die Kunden ein Produkt brauchen oder wollen, das sie noch gar nicht kennen, ist ihnen in den seltensten Fällen bewusst. Hätten die Marktforscher recht behalten, hätte die Welt nie mehr als fünf Computer gebraucht. Marktanalysen ergaben auch, dass Kopiergeräte überflüssig sind, weil kein Mensch von einem Dokument jemals mehr als drei Abzüge brauchen würde und dafür auch Kohlepapier ausreichen würde. Sie hatten prognostiziert, dass die Nachfrage nach Handys begrenzt sein würde und dass sich der Walkman von Sony nicht durchsetzen würde. Markterhebungen sind von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, Reaktionen auf eine Idee zusammenzutragen, die bereits vollständig entwickelt und für den Kunden greifbar ist. Um einen latenten, noch nicht erkannten Bedarf aufzudecken, taugen sie jedoch nicht. Unser Ansatz stellt einen Kompromiss dar zwischen völlig unstrukturierter Spekulation auf der einen und quantitativer Datenanalyse auf der anderen Seite. Wenn Sie verhindern möchten, dass Ihre Leute gedanklich verloren gehen, müssen Sie Fragen stellen, die der Ideenfindung einen Rahmen geben — eine Grundlage, auf der Entscheidungen getroffen und verglichen werden können und anhand derer die Teammitglieder beurteilen können, ob sie Fortschritte machen. Doch es ist noch nicht damit getan, die richtigen Fragen zu stellen. Ebenso wichtig ist, wie Sie solche Kreativsitzungen organisieren und durchführen. Faktoren, die den freien Gedankenfluss behindern, müssen aus dem Prozess eliminiert werden. Die meisten Menschen sprechen zum Beispiel nicht gern vor einer Gruppe von mehr als zehn Personen. Wir gehen gleich näher darauf ein, wie eine effektive Brainstorming-Sitzung strukturiert sein sollte. Zunächst werfen wir jedoch einen Blick darauf, wie man intelligente Fragen findet.
Wie Sie lernen, die richtigen Fragen zu stellen
Das bereits erwähnte Beraterteam von McKinsey stieß bei seiner Untersuchung vor zehn Jahren auf eine Studie von Mihaly Csikszentmihalyi, damals
Blicken Sie auf andere, und verfolgen Sie jede revolutionäre Idee oder Innovation zu ihrem Ursprung zurück.
noch Psychologieprofessor an der Universität Chicago. Im Zentrum seiner Studie stand die Frage, wie Nobelpreisträger und andere kreative Köpfe auf ihre zündenden Ideen kamen. Die interessante Erkenntnis: Der Gedankenfluss solcher Personen kam immer dann ins Rollen, wenn sie sich die richtige Frage stellten.
Wir wollten daraufhin herausfinden, wie die erfolgreichsten Unternehmen der vergangenen Jahre ihre Position erlangt hatten und untersuchten zwei Gruppen: große Konzerne, die in relativ kurzer Zeit branchenbeherrschende Unternehmen geworden waren, und Start-ups, die in weniger als sechs Jahren von einer Garagenfirma zu einem Unternehmen mit mehr als einer Milliarde US-Dollar (gewinnbringendem) Umsatz aufgestiegen waren. Bei jeder dieser Organisationen basierte der Erfolg auf revolutionären Ideen, die die Produkte und Dienstleistungen in dem jeweiligen Markt neu definiert hatten.
Einige der Innovationen wurden aus Antworten auf ganz bestimmte Fragen entwickelt. Wir fanden jedoch heraus, dass es nicht darauf ankam, ob ein Unternehmen tatsächlich von einer bestimmten Frage ausgegangen war oder nicht. Entscheidend war, ob überhaupt eine Frage existierte, die außergewöhnliche Marktchancen hätte aufdecken können, wie sie CNN, Google, USA Today, Ebay und Amazon ausgenutzt hatten. Wir wählten aus verschiedenen Branchen 5O revolutionäre Ideen aus und verfolgten zurück, welche Frage am Anfang der jeweiligen Idee gestanden haben könnte, die jedem intelligenten Manager dieselbe Eingebung beschert hätte. Einige der Fragen waren natürlich sehr branchenspezifisch, doch wir sind auch auf viele mit durchaus allgemeingültigem Charakter gestoßen (siehe Kasten).
Die Autoren haben aus verschiedenen Branchen 50 revolutionäre Ideen ausgewählt und zurückverfolgt, welche Frage am Anfang stand. Neben vielen branchenspezifischen Fragen ergab sich auch dieses Set allgemeingültiger Fragen auf der Suche nach guten Ideen.
Käufer und Nutzer differenziert betrachten
- Welche Kunden verwenden oder kaufen unser Produkt auf besonders ungewöhnliche Art und Weise?
- Gibt es Kunden, die deutlich mehr oder weniger Aufmerksamkeit von Vertriebs- und Servicemitarbeitern erfordern als der Durchschnitt?
- Welche Kunden verursachen besonders hohe oder besonders niedrige Kosten (Auftragseingang, Nachverfolgung, kundenspezifische Lösungen)?
- Gibt es eine Kundengruppe, deren Bedürfnisse wir auch dann noch erfüllen könnten, wenn wir unsere harten oder weichen Kosten um 25 Prozent senken würden?
- Welche Kunden investieren mindestens 50 Prozent des Produktpreises, um es ihren Bedürfnisse anzupassen?
Unerwartete Erfolge aufdecken
- Wer verwendet unser Produkt auf eine Weise, die wir gar nicht erwartet oder beabsichtigt hatten?
- Wer verwendet unser Produkt in überraschend großen Mengen?
Andere Unternehmen und Branchen beobachten
- Wer kämpft mit demselben Problem wie wir, aber aus einem anderen Grund? Wie gehen diese Unternehmen das Problem an?
- Welche radikalen Erfolge bei Effizienz oder Wirtschaftlichkeit haben wir erzielt, die auch in anderen Branchen nützen?
- Welche Informationen über Kunden und Produktverwendung fallen als Nebenprodukt unseres Geschäfts an, das wir nutzen können, um ein anderes Geschäft radikal zu verbessern?
Hindernisse für die Kundenbindung analysieren
- Was ist das größte Ärgernis beim Kauf oder Gebrauch unserer Produkte?
- Welche spontanen Verbesserungen haben Kunden an unserem Produkt vorgenommen ?
- Für welche unserer Kunden eignet sich das Produkt am wenigsten?
- Für welche Anwendungsbereiche eignet sich unser Produkt am wenigsten?
- Welche Kunden bedient die Branche bewusst nicht und warum?
- Welche Kundengruppe wäre richtig groß, wenn wir ein ganz bestimmtes Hindernis aus dem Weg räumen könnten, an das wir bisher noch nicht gedacht haben?
Sich eine perfekte Welt vorstellen
- Was würden wir anders machen, wenn wir vollständige Informationen über Käufer, Anwendungsbereiche, Vertriebskanäle und so weiter hätten?
- Wie würde sich unser Produkt ändern, wenn es auf die Bedürfnisse aller Kunden
zugeschnitten Würde?Prämissen für Prozesse und Produkte überdenken
- Welche Technologien, die in unseren Produkten eingesetzt Werden, haben sich seit der letzten Produktüberarbeitung am stärksten verändert?
- Welche Technologien, auf denen unsere Produktionsprozesse beruhen, haben sich seit der letzten Überarbeitung unseres Produktions- und Vertriebssystems am stärksten verändert?
- Welche Kundenbedürfnisse verändern sich am schnellsten? Wie werden sie in fünf Jahren aussehen?
Stecken Sie den Rahmen akzeptabler Ideen ab, und stellen Sie entsprechende Fragen
Wie oft haben Sie schon den Satz gehört: „Daran hatte ich auch schon gedacht, aber ich habe es nicht gesagt, weil ich dachte, Sie suchen nach etwas anderem.“ Wie oft haben Sie schon Vorschläge gehört, die mit dem vorhandenen Budget und Personal in der vorgegebenen Zeit einfach nicht zu realisieren waren? Wie oft hat Ihnen Ihr Team lediglich zaghafte Vorschläge unterbreitet, obwohl Sie eigentlich etwas radikal Neues gesucht hatten? Diese Probleme können Sie vermeiden, wenn Sie sich vor der Sitzung die Zeit nehmen, den Rahmen dafür abzustecken, was in Ihrem Fall eine gute Idee ausmacht. Suchen Sie den großen Wurf oder einen sicheren Gewinnbringer? Wie viel Geld kann das Unternehmen ausgeben? Wie viel Personal steht im Konzern zur Verfügung? Wie schnell muss sich die Investition amortisieren?
Anschließend müssen Sie sich darüber klar werden, welche besonderen Anforderungen das Problem mit sich bringt, das Sie lösen möchten. Denn ansonsten werden Sie nur Fragen stellen, die alle dieselbe Antwort zutage fördern. Wird zum Beispiel ein Produkt von allen Kunden auf dieselbe Art und Weise verwendet (zum Beispiel ein Industriekran), bringt es nichts, sich zu fragen, für welche Kunden und für welche Anwendungen sich das Produkt am wenigsten eignet. In diesem Fall würden diese Fragen zu derselben Antwort führen. Bei Produkten, die von den Kunden auf unterschiedliche Art und Weise eingesetzt werden und deren Kunden sich auch deutlich voneinander unterscheiden (das gilt zum Beispiel für Autos), fördern diese Fragen aber unter Umständen äußerst wertvolle Erkenntnisse zutage. Wenn Sie eine Auswahl aus möglichen Fragen treffen, entscheiden Sie sich für diejenigen, die das Thema aus einem völlig anderen Blickwinkel beleuchten, als Sie es bisher getan haben. Sie sollten Ihren Fragenkatalog als Portfolio sehen. Jede einzelne Frage schafft einen gedanklichen Rahmen, der das Problem aus einer anderen Perspektive betrachtet.
Sind diese Parameter geklärt, sollten Sie die Fragen sprachlich Ihren Zielen und Vorgaben anpassen. Fragen, die zu revolutionären Ideen führen, unterscheiden sich in ihrer Formulierung grundlegend von solchen, die moderate, risikoarme Vorschläge hervorbringen. Wenn der Chef einer Computerfirma Ende der 80er Jahre sein Managementteam gefragt hätte „Wie kann ich die Kosten reduzieren ?“, hätte er vermutlich solide, aber vorsichtige Vorschläge erhalten, zum Beispiel „Lieferungen zusammenlegen“ oder „Verkaufspersonal reduzieren“. Hätte er jedoch gefragt: „Welches Element unseres Geschäfts müssten wir eliminieren, wenn wir die Kosten um 50 Prozent senken möchten?“ Und: „Haben wir Kunden, die ohne Weiteres auf dieses Element verzichten können?“ Mit dieser Frage im Sinn hätte er vielleicht Michael Dell zuvorkommen und im Verkauf von PC als Erster den Versandhandel einführen können, der sich als starke Alternative zum Ladenverkauf etabliert hat.
Wie viele Fragen Sie in Ihr Portfolio aufnehmen, hängt davon ab, wie groß Ihr Brainstorming-Team ist und wie viel Zeit Sie haben. Pro Gruppe mit vier oder fünf Mitgliedern brauchen Sie ungefähr alle 30 Minuten eine Frage. Warum das so ist, werden wir später erläutern. Wenn Ihnen die Fragen ausgehen, ist es unter
Umständen sinnvoll, die besten ein oder zwei Fragen mehr als nur einer Arbeitsgruppe zu geben. Sie sollten außerdem jede Frage an sich selbst testen. Bei welcher fallen Ihnen die meisten Ideen ein?
Wählen Sie Teilnehmer aus, von denen wertvolle Beiträge zu erwarten sind
Natürlich müssen Sie aus unternehmenspolitischen Gründen immer einige Teilnehmer einladen, die wenig beitragen werden. Sie sollten aber dafür sorgen, dass genügend Personen dabei sind, die einen wertvollen Beitrag leisten können. Wenn Sie wissen möchten, wer das Produkt auf unerwartete oder ungewollte Art und Weise oder in enormen Stückzahlen verwendet, sollten Sie diejenigen einladen, die das aus Erfahrung beurteilen können. Sie finden diese Leute vermutlich nicht in Ihrem Team, sondern an eher unerwarteten Orten. Vor einigen Jahren stieß ein Vertriebschef zufällig auf Marktpotenzial für Lebensmittel, speziell für ältere Menschen. Einer seiner Vertriebsmitarbeiter hatte deutlich mehr Babynahrung verkauft, als es der demografischen Zusammensetzung seines Vertriebsgebiets zufolge möglich war. Wie sich später herausstellte, hatte er die Babynahrung an Menschen in Pflegeheimen verkauft. Ebenso ungewöhnlich ist die Entstehungsgeschichte des Mountainbikes. Ein Fahrradhersteller fand heraus, dass einige seiner Kunden ihre Räder extremen Belastungen aussetzten und sie deshalb häufig ersetzen mussten.
Sorgen Sie dafür, dass jeder 100 Prozent Einsatz bringt
Über eines müssen Sie sich im Klaren sein: Bei einer klassischen Brainstorming—Sitzung ist den meisten Teilnehmern der Erfolg deutlich weniger wichtig als Ihnen. Greifen Sie ruhig zu kleinen Tricks, um dies zu ändern. In einem 100 Milliarden Dollar schweren Unternehmen haben wir es einmal geschafft, die sechs ranghöchsten Manager dazu zu bringen, bei der Ideenfindung wirklich alles zu geben, weil jeder von ihnen 20 Dollar gewettet hatte, dass sein Team die besten Vorschläge machen würde. Wenn so ein kleiner Trick sogar bei Multimillionären funktioniert, dann stellen Sie sich nur vor, was Sie mit Ihren Teilnehmern alles machen könnten. Lassen Sie doch das Siegerteam die Logofarbe des Endprodukts auswählen, oder belohnen Sie die Sieger mit einer Rolle als Statisten im Fernsehwerbespot. Ganz gleich, wie Ihre Incentives aussehen, Sie müssen erreichen, dass 100 Prozent der Teilnehmer 100 Prozent der Zeit 100 Prozent Einsatz bringen.
Sorgen Sie dafür, dass die sozialen Normen für und nicht gegen Sie wirken
In Sitzungen mit mindestens zehn Teilnehmern lautet die soziale Norm: Mund halten oder zumindest so wenig wie möglich sprechen. Ein paar dominante Personen brechen diese Regel, und die anderen überlassen ihnen die Bühne. Aber beobachten Sie doch einmal, was geschieht, wenn eine 20—köpfige Gruppe in Viererteams aufgeteilt wird. Erstens schreibt die soziale Norm in Vierergruppen vor, dass jeder Teilnehmer etwas beiträgt. Keiner kann sich verstecken, ohne als unkooperativ zu gelten. Zweitens präsentieren am Ende fünf Teilnehmer Ergebnisse und nicht nur einer. Und was die besonders dominanten Mitarbeiter betrifft: Stecken Sie diese alle in dieselbe Gruppe. Dadurch können sie die Teammitglieder in den anderen Gruppen nicht in den Hintergrund drängen.
Geben Sie jeder Sitzung mit vorher ausgewählten Fragen eine klare Richtung
Legen Sie zu Beginn der Sitzung die Rahmenbedingungen fest. Stellen Sie klar, ob Sie radikale Neuerungen oder kleine Verbesserungsschritte suchen, wie viel Geld zur Verfügung steht und so weiter. Machen Sie sich keine Sorgen, dass Sie dadurch die Kreativität einschränken. Es sind gerade solche Grenzen — die Rahmenbedingungen für die Ideenfindung —, die die Kreativität in die richtigen Bahnen lenken.
Geben Sie jeder der kleinen Gruppen eine präzise und eng gefasste Aufgabe. Lassen Sie die Teams 20 bis 30 Minuten über eine Frage diskutieren und danach die besten Ideen präsentieren. Die ersten fünf Minuten werden ablaufen wie
jede andere Brainstorming-Sitzung auch. Aber danach kommen die Teilnehmer auf die guten Ideen zurück und entwickeln sie weiter. So werden durchdachte Varianten entwickelt. Durch das Zusammenspiel der Gruppenmitglieder entstehen komplexe, mehrschichtige Konzepte. Die Wahrscheinlichkeit, wirklich geniale Ideen zu entwickeln, ist so deutlich höher.
Verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf eine Brainstorming-Sitzung
Überraschend viele,Manager holen sich auf der Suche nach neuen Ideen nur in einem einzigen Workshop den Input von anderen. Auch das widerspricht der Art und Weise, wie Menschen denken
Die meisten Menschen scheuen Veränderung. Sie brauchen Zeit und mehrere Sitzungen, um sehr gute Ideen zu kreieren.
welche Ideen Sie ernsthaft weiterverfolgen werden
Es gibt nichts Entmutigenderes für die Teilnehmer einer Brainstorming—Sitzung, als das Treffen mit dem Gefühl zu verlassen, dass ihre Vorschläge ohnehin nicht weiterverfolgt werden. Schieben Sie das Sortieren der Ideen nicht auf. Erledigen Sie es sofort. In den meisten Fällen ist die Auswahl der besten Konzepte nicht schwierig. Wenn Sie diese Aufgabe aber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, besteht die Gefahr, dass alles im Sande verläuft.
Anders als herkömmliches Brainstorming fördert unser Prozess in der Regel eine Vielzahl konstruktiver Ideen zutage. Bei einer Sitzung mit 20 Personen liegt die Ausbeute im Durchschnitt bei 20 Ideen pro Stunde. Ein zweitägiger Workshop mit insgesamt acht Kreativstunden dürfte also mehr als 150 Vorschläge hervorbringen! Ein Viertel davon ist zwar meist völlig unbrauchbar, und nur die Hälfte der restlichen Ideen ist es wert, ernsthaft in Betracht gezogen zu werden, aber es bleiben immer noch mehr als 50 Ideen übrig, aus denen Sie auswählen können. Vielen Managern widerstrebt es, Sieger zu küren, weil sie befürchten, damit die anderen Teilnehmer zu enttäuschen. Das ist ein Fehler. Den meisten ist es lieber, sofort zu erfahren, welche Ideen ausgewählt wurden. Dadurch lernen sie, wie der Chef denkt, und können sich das nächste Mal besser darauf einstellen.
Fazit
Wenn Sie unseren Ansatz in Ihrem Unternehmen umsetzen, sollten Sie eines immer im Hinterkopf behalten: Die meisten Menschen scheuen Veränderungen. Unter Umständen dauert es einige Zeit, bis sich die ruhigen und bedachten Mitarbeiter, die Brainstorming schon immer gehasst haben, öffnen und einen aktiven Beitrag leisten. Zur ersten Sitzung erscheinen sie vielleicht völlig unvorbereitet. Schließlich mussten sie vorher noch nie so viel beitragen. Die meisten, wenn nicht sogar alle von ihnen werden die Veränderung jedoch letztlich anerkennen und schätzen. Innerhalb der sicheren Leitlinien, die Sie ihnen für die Ideenfindung geben, werden sie jede Menge gute und auch außergewöhnliche Ideen hervorbringen. Dann liegt es an Ihnen, diese Konzepte gewinnbringend umzusetzen.
Quellen:
- Harvard Business manager 07/2008, S.28ff
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